Mit Markenaufstellung gut aufgestellt?
Markenaufstellung. Der schnelle Weg zur perfekten Markenstrategie: Eine Buch- & Methodenkritik
Die erste kritische Buchbesprechung im Rahmen dieses Blogs widme ich der “Markenaufstellung“ von Ulrich Cremer. Einem Buch, das den “schnellen Weg zur perfekten Markenstrategie“ verspricht. Und zwar soll dieses Versprechen unter Zuhilfenahme von „Aufstellungsarbeit“ eingelöst werden. Einem Mittel, das ursprünglich dem Psychodrama entsprungen ist und von seiner Anwendung in der Psychotherapie über das gleichermaßen beliebte wie berüchtigte „Familienstellen“ schließlich mit „Organisationsaufstellungen“ auch den Weg in die Wirtschaft gefunden hat. Was genau eine systemische Aufstellung ist, kann ich aus Platzgründen hier nicht näher beschreiben. Es sei an dieser Stelle an einschlägige Literatur oder das alles wissende Internet verwiesen. Nun also „Markenaufstellung“. Wer mich kennt, weiß, dass ein Buch mit diesem (Unter)Titel geradezu danach schreit, von mir kritisch beäugt zu werden.
Aus zwei Gründen. Erstens hege ich ein Misstrauen gegenüber allem, was mit Superlativen für sich wirbt. Zum zweiten finde ich das Verbinden von scheinbar inkompatiblen Dingen aber auch überaus attraktiv. Im vorliegenden Fall stößt mich „der perfekte Weg“ im Buchtitel zwar ab, andererseits zieht mich die Anwendung eines Instruments aus der Heilkunst (Psychotherapie) auf einen vermeintlich technokratische Gegenstand wie Markenstrategie an. Ich glaube nämlich, dass gerade das Zusammenführen von scheinbaren Widersprüchlichkeiten wie eben dieser, Kreativität und innovative Lösungen befördern können.
Beispiele für große Würfe im Marketing, die sich der Gebiete Psychotherapie und Wirtschaftswissenschaft bedienen, gibt es deren viele. Die Disziplin „Public Relations“ oder das Konzept der Fokusgruppe in der Marktforschung entstammen beispielsweise auch den genialen Ideen von altösterreichischen U.S.-Immigranten in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, die von der damals noch jungen Psychoanalyse beeinflusst waren. Es waren dies Edward Bernays, ein Neffe Sigmund Freuds und Ernest Dichter, ein emigrierter Psychoanalytiker aus Wien. Aber zurück zum Buch bzw. der dort vorgestellten Methode.
Formal ist das Buch „Markenaufstellung“ gut gegliedert, leicht verständlich, um zahlreiche Praxisbeispiele angereichert und durchaus auch (selbst)kritisch. So werden methodische und formale Fehler bei der Praxisarbeit beleuchtet und alternative Vorgehensweisen diskutiert. Die im vorletzten Kapitel des Buches vorgenommene geschichtliche Herleitung der Methode „systemische Aufstellung“ ist ausreichend und dient wohl auch zu ihrer Legitimierung als Werkzeug im strategisch-taktischen Marketing. Dass bei den angeführten Praxisbeispielen Marktteilnehmer, Rahmenbedingungen, Unternehmensabteilungen und Elemente des Marketing-Mix gleichzeitig aufgestellt werden, ringt mir jedoch ein Stirnrunzeln ab. Das ist ein bisschen zu viel des Guten; besser hielte ich mehrere kleine Aufstellungen als eine allesumfassende Variante.
Richtig kritisch wird es dann allerdings im Schlusskapitel. Dann nämlich, wenn Cremer versucht, ein Erklärungsmodell für „geglückte“ Aufstellungsarbeit im Business-Kontext zu liefern. Statt sich darauf zu beschränken, dass Aufstellungsarbeit ein taugliches Mittel sein kann, sich unbewusste Dinge bewusst zu machen und dadurch eine Kommunikationsbasis für eine angestrebte Lösung zu schaffen (wie von den Protagonisten der systemischen Familientherapie ursprünglich vorgesehen), geht Cremer weiter. Die sinnliche Wahrnehmung der Repräsentanten im aufgestellten System soll letztendlich quasi von selbst zu einer Lösung des vom Aufsteller genannten Marketingproblems führen. Die aufgestellten Personen sind also nicht nur Repräsentanten des inneren Bildes des Fragestellers, sondern verkörpern buchstäblich – in dem sie ihren Körperempfindungen sowie Emotionen nachgehen und dann ihre Position im Raum verändern – ein ideales Lösungsbild.
Und hier schrammt der Autor gefährlich nahe an der Esoterikszene entlang. Da werden die „große Seele“ des umstrittenen Familienstellers Hellinger, das „Wissensfeld“ eines Herrn Mahr oder „morphogenetische Felder“ des Biologen Rupert Sheldrake zitiert, die allesamt als Erklärungsmodelle für scheinbar geglückte Aufstellungsarbeit herhalten dürfen. Allen diesen Theorien ist gemein, dass sie auf ein angebliches kollektives Unbewusstes referieren, das die Repräsentanten ganz automatisch eine richtige Position (=ein richtiges Lösungsbild) einnehmen lässt. Willkommen im Paralleluniversum! Schade nur, dass alle diese Theorien nie verifiziert werden konnten. Hellinger wie Sheldrake haben aus diesem Grund auch ausschließlich Zuspruch in der New-Age Bewegung und nicht in der seriösen Wissenschaft, Psychotherapie hier – Biologie dort.
Vodoo Economics?
Dass er sich mit dem Zitieren der genannten Herren auf unsicherem Terrain bewegt, ist Cremer durchaus bewusst. Daher wird sicherheitshalber auf ein weiteres Feld verwiesen – das „soziale Feld“ des Soziologen und Philosophen Pierre Bourdieu. Hier soll quasi ein soziologischer Unterbau ins Treffen geführt werden, warum sich denn Menschen in einer Aufstellung so und nicht anders bewegen bzw. verhalten können. Leider hat Bourdieu nie auch nur eine einzige Regel aufgestellt, WIE sich den Menschen unter welchen sozialen Umständen WOHIN bewegen.
Aber egal, um „Markenaufstellung á la Cremer“ einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben, wird sogar der ehrenwerte Neurowissenschaftler António Damásio bemüht. Der hat nämlich die überragende Bedeutung von Emotionen bei menschlichen Entscheidungsprozessen nachgewiesen. Die Forschungsergebnisse des armen Mannes werden nun herangezogen, wenn es gilt das „Mysterium“ der sich selbst findenden Lösung aller Marketingprobleme zu klären. Heureka! (Damásios Buch „Decartes‘ Irrtum“ ist übrigens unter Neurowissenschaftlern und Neuromarketern ein Klassiker.). Man stöpsle beliebig verschiedenste (pseudo)wissenschaftliche Theorien zusammen, schon hat man eine Erklärung für angeblich allgemein gültige Bewegungsmuster in der Aufstellungsarbeit. Nebenbei wird so auch der heilige Gral für alle Marketingfragen erschaffen.
Dabei liegt die Lösung des Rätsels doch so nah! Und Ulrich Cremer erwähnt sie sogar selbst. Peter Schlötter, gelernter Maschinenbauer, Unternehmensberater und „Therapiebegleiter“ (für Hellinger Geschädigte?) weist laut Cremer in dessen zum Buch gewordenen Dissertation „Vertraute Sprache und ihre Entdeckung“ angeblich nach, warum bei Aufstellungen aller Art mit welchen Repräsentanten auch immer stets die gleichen Ergebnisse zu Tage treten.
Das besagte Buch habe ich zwar nicht aufgetrieben, aber immerhin einen „Forschungsfilm“ gleichnamigen Titels, herausgegeben von Schlötter selbst. Es ist pure Geometrie oder eben gelerntes Verhalten, das „Idealbilder“ mehr oder weniger von selbst entstehen lässt. So gibt es in jeder Kultur eigene Regeln, wie man idealerweise zueinandersteht – in welcher Entfernung zueinander, mit oder ohne Augenkontakt usw. Dass dies natürlich nicht universell gültig ist, darauf hat übrigens der Erfinder des Systembretts Kurt Ludewig bereits hingewiesen. Die von Cremer angeführten 2700 Aufstellungen, mit denen dieses universell gültige (Bewegungs-)Gesetz von Schlötter bewiesen worden sein soll, entpuppen sich im Film tatsächlich als lediglich 2 (zwei!). Möglicherweise hat Cremer hier die Anzahl der beiden für Schlötters Versuchsaufbau herangezogenen Aufstellungen mit der Zahl der Repräsentanten (7) bzw. Testpersonen (ca. 200) multipliziert. Wer weiß?
Aber lassen wir die graue Theorie einmal beiseite. Was mir wirklich bedenklich erscheint, ist, dass ein taugliches Werkzeug aus der Psychotherapie, das dazu dienen sollte innere, also subjektive Bilder eines Patienten zu visualisieren, um sich dann mit diesen Bildern konstruktiv (Konstruktivismus!) auseinanderzusetzen, plötzlich zu einem Instrument umfunktioniert wird, das objektive Wahrheiten (eines Marktes) repräsentieren und eine Ideallösung für ein bestimmtes Marketingproblem finden soll. Und diese Lösung soll sich aus den jeweiligen Befindlichkeiten (Emotionen, Körpergefühlen) von willkürlich ausgewählten Repräsentanten ergeben. Befindlichkeiten, die nicht nur individuell, sondern kulturell determiniert sind.
Mich schaudert’s. Und ich finde es schade. Denn, systemische Aufstellung KANN natürlich helfen, Lösungen für Probleme, auch Marketingprobleme zu finden. Falsch angewandt wird dieses Werkzeug allerdings zur „gefährlichen Methode“ mit gänzlich unerwünschten Nebenwirkungen. Egal ob im therapeutischen oder Marketingumfeld.
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Alles Neuro oder was? Eine kurze Geschichte des Neuromarketing (2) | ExCentric
[…] oft nur ein kleiner Schritt zwischen Voodoo und Wissenschaft, wie auch schon in einem anderen Blogbeitrag von mir erwähnt worden ist. Die Seele ist zu kostbar und die Marketingbudgets sind zu knapp, als […]