Alles Neuro oder was? Eine kurze Geschichte des Neuromarketing (1)
Was treibt den Menschen an, worauf richtet sich sein Verlangen, was sind die Beweggründe für eine bestimmte Entscheidung und sind diese Entscheidungen beeinflussbar? Diese Fragen stellen sich seit jeher Philosophen, Soziologen und Psychologen. Umgelegt auf die Welt der Wirtschaft wollten aber immer schon auch Unternehmen von ihren Konsumenten wissen, was denn der Grund für eine bestimmte Kaufentscheidung ist und wie eben diese Entscheidung im Sinne des werbenden beeinflusst werden kann.
Ein Freud’sches Versprechen als Ausgangspunkt
Dass bei Einstellungen und (Entscheidungs-) Verhalten ein gehöriges Maß an Irrationalität eine Rolle spielt, wissen wir spätestens seit den Erkenntnissen des Neurologen (!) und Erfinders der Psychoanalyse Sigmund Freud. Dass diese irrationalen Einflüsse hauptsächlich unbewusst sind, hat mittlerweile ebenfalls den Charakter einer Binsenweisheit. Freud machte sich daran, dem Unbewussten seiner Patienten mit den Techniken der „freien Assoziation“ nachzuspüren.
Bis die Erforschung des Unbewussten auch ihren Weg in die Wirtschaft fand, dauerte es aber noch eine Weile, zumindest in Europa und auch hierzulande. Das in den 30er und 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts neu entstandene Berufsfeld der Meinungsforscher bediente sich lange und ausschließlich standardisierter Fragebögen, mit deren Hilfe die Konsumenten direkt nach ihren Wünschen, Präferenzen und Einstellungen befragt wurden. Die Befragungen orientierten sich an der gängigen klinisch-psychologischen Praxis und noch herrschte das Bild vom vernünftigen „homo oeconomicus“.
Des Marktforschers Freud‘ mit der Psychoanalyse
Erst der in die U.S.A. emigrierte Altösterreicher und Psychoanalytiker Ernest Dichter begann sich in den 1950er Jahren mit dem von ihm gegründeten Institute for Motivational Research den unbewussten Kaufmotiven von Konsumenten zuzuwenden (dass Dichters Beitrag zur Werbung und Marketing an den hiesigen Universitäten nahezu unerwähnt und somit unbekannt bleibt, ist leider symptomatisch für den Umgang mit der Intelligenz, insbesondere der vertriebenen und ermordeten. Nun, immerhin gibt es noch ein Ernest Dichter-Archiv an der vormals renommierten Universität zu Wien). Tiefeninterviews und projektive Tests waren dabei die Mittel der Wahl und sollten „egoistische und soziale Bedürfnisse“ von Menschen aufdecken. Auf die Idee diese neue Methodik irgendwie mit Neurowissenschaft in Verbindung zu bringen, kam Dichter nicht. Warum auch, den Leuten beim Denken zuschauen war erst einige Jahrzehnte später möglich. Es waren also werbepsychologische Methoden, die angewandt wurden.
So oder so, ob direkt oder indirekt, die Menschen wurden also befragt, was Werbeguru David Ogilvy zu seinem berühmten Sager über die zweifelhafte Qualität von Marktforschung veranlasste. Die Menschen, so klagte er, würden schlicht nicht die Wahrheit sagen, wenn man Sie über Ihre Meinung befragt. Ogilvy war überhaupt ein Großer seiner Zunft. Einer, der den Wert des „Unbewussten“ in Schöpfungen der Kunst und Wissenschaft aber eben auch der Werbung erkannt hatte. Ein paar Weisheiten von David finden sich übrigens in diesem Blog.
Es wird Neuro, doch nicht ganz
Unzufrieden, angesichts der mäßigen Vorhersagekraft traditioneller Marktforschungsinstrumente mussten neue Methoden her. Einerseits griff man dankbar die eine oder andere Neuerung aus der Psychologie auf, um die „wirkliche“ Meinung von Konsumenten zu erfahren. Assoziationstests, noch immer verbal aber auch mit Bildern und Symbolen, Facial Coding (Erkenntnisse die übrigens bis auf Charles Darwin zurückgehen) usw. wurden eingeführt. Andererseits, griff man seit den 60er-Jahren auf sogenannte psycho-physiologische Verfahren zurück, um von Körperreaktionen auf Einstellungen, Vorlieben- und Abneigungen, Aufmerksamkeit usw. der Probanden auf Werbemittel zu schließen.
Als prominentester Vertreter ist hier das Eye-Tracking zu nennen, bei der man vom Sehverhalten auf die Attraktivität des Reizes zu schließen versucht (erste Versuche dazu gab es bereits 1800!). Letzte Innovation im Bereich der bio-psychologischen Marktforschung ist die Methode der Elektromyografie. Hier werden mittels im Gesicht angebrachter Elektroden minimale, oft nicht sichtbare Muskelbewegungen gemessen und es kann so auf bestimmte Emotionen zurückgeschlossen werden, die beispielsweise ein Werbesujet beim Betrachten auslöst.
Der zweite Teil dieses, meines im Magazin „a3 Marketing“ (Ausgabe 3-4/2016) erschienenen Artikels wird in zwei Wochen an dieser Stelle veröffentlicht.
Hier klicken, um das Antworten abzubrechen.