Alles Neuro oder was? Eine kurze Geschichte des Neuromarketing (2)
Das Kind, das Kind, das limbische Kind
Im Jahr 2000 wurde es insofern spannend, als der Begriff des Neuromarketing geprägt wurde. Von Hans-Georg Häusel, einem deutschen Psychologen, der bekannte Theorien aus Philosophie und Psychologie bzw. Forschungsergebnisse aus Teilbereichen der Neurowissenschaft sowie der Biologie kombinierte und diesem Kind einen neuen Namen gab – Limbic.
Die von Häusel kreierten „limbischen“ Typen wurden von ihm in die Konsumentenforschung übertragen und der Begriff des Neuromarketing war geboren. Verifiziert wurde die Typologie ganz old-school…mit Fragebogen. Dass Emotionen einen noch viel größeren Einfluss auf das menschliche Verhalten haben als gemeinhin angenommen, ist mit António d’Amásio übrigens wieder einem echten Neurologen zu verdanken und in seinem Buchklassiker „Decartes Irrtum“ nachzulesen.
Die Geburtsstunde des Neuromarketing
Interessanterweise fand die erste neuroökonomische Studie, die man tatsächlich mit Neuromarketing in Zusammenhang bringen kann und die nicht wie im Falle von „Limbic“ überwiegend auf Spekulationen beruhte, erst 2004 statt. Kein Wunder, erst seit damals ist es technisch möglich, brauchbare Messungen von Gehirnaktivität mit bildgebenden Verfahren durchzuführen. Forscher am Baylor College of Medicine führten einen Blindtest mit den Getränkemarken Pepsi und Coca Cola durch. Dabei sollte – wie bei zig ähnlichen Tests davor – festgestellt werden, wie sich die Vorlieben gegenüber den beiden Colagetränken änderten, sobald man die Namen der beiden Hersteller bekannt gab.Allerdings befragte man die Probanden nicht nur über ihre Präferenzen vor und nach Enthüllung der Markennamen, sondern zeichnete gleichzeitig auf, was sich dabei in den Gehirnen der Testpersonen abspielte. Und zwar tat man das, indem man die Testpersonen in einen funktionellen Magnetresonanztomographen (fMRT) legte und die Durchblutung also die Aktivität verschiedener Gehirnareale maß. Und siehe da, es wurde quasi ein Muster entdeckt, das die Präferenz für eine Marke (Coca Cola) visualisierte. Eigentlich gar nicht so erstaunlich, wird doch jede Aktivität – körperliche oder geistige – im wesentlich von unseren grauen Zellen gesteuert und verarbeitet. Und dass „Marke“ bei Kaufentscheidungen eine Rolle spielt, hat die Werbepsychologie in den Jahrzehnten davor auch schon nachgewiesen.
Als dann 2011 in einer weiteren Studie zu erfolgreichen Pop Songs bei Probanden bestimmte Gehirnareale ähnliche Muster zeigten wie in der oben erwähnten Untersuchung, vermeinte man den Stein der (Marketing)Weisen gefunden zu haben. Die Hypothese war, wenn man beispielsweise das „Belohnungszentrum“ anregen kann, dann weiß man auch, wie erfolgreiche Werbung auszusehen hat. Leider waren und sind praxistaugliche Erfolge dieser ersten Generation der Neuromarktforschung jedoch ausgeblieben. Das ließ auch den Marketingleiter einer hiesigen Handelskette, der als einer der ersten hierzulande Werbemittel im MRT abtesten ließ, seufzen: „wir haben keine brauchbaren Erkenntnisse bekommen“.
Neuromarketing 2.0
Kein Wunder, das menschliche Gehirn ist keine einfache Reiz-Reaktionsmaschine und es ist immer das gesamte Gehirn an der Informationsverarbeitung und Bewertung von Reizen wie zB. Werbung, Preisen, Produktdesigns usw. beteiligt. Einzelne Teile des Gehirns isoliert zu betrachten und Vorhersagen über den Verkaufserfolg zu treffen, produziert bunte Bilder, mehr nicht (einen leicht lesbaren Artikel dazu, gab erst kürzlich auch in der Tageszeitung „Der Standard“ nachzulesen).
Neuromarktforschung der neuen Generation arbeitet hier schon differenzierter und mehrstufig. Neurowissenschaftler wie Victor Lamme vom holländischen Neuromarktforschungsinstitut Neurensics machen sich daran, anstatt ausgewählter Areale das Gehirn als Ganzes zu untersuchen und dann ganze neuronale Netzwerke zu identifizieren, die für einen bestimmten Emotionscocktail verantwortlich sind. Im Test wird also untersucht, welchen Mix an Emotionen beispielsweise ein Werbespot auslöst.
Dabei interessiert jedoch ausschließlich jene Emotionsmischung, die beim Zuschauer nachweislich auch eine Verhaltensreaktion gezeigt hat. Umgelegt auf den Business Kontext heißt das, wenn der Spot beim Kunden tatsächlich ein gewünschtes Image produziert oder einen Kaufwunsch ausgelöst hat.
Im Vorfeld eines Kundenprojekts werden daher nicht einige wenige sondern hunderte, wenn nicht tausende von erfolgreichen Werbemitteln getestet. Die so im fMRT gewonnenen Ergebnisse dienen quasi als Blaupause für die eigentliche Testung, Interpretation und letztendlich Adaption der für den Firmenkunden zu untersuchenden Werbemittel.
Neuromarktforschung der neuen Art macht zudem selten Aussagen darüber, wie Werbemittel generell gestaltet werden sollen, sondern arbeitet in der Regel kontextabhängig. Das was für ein Produkt werblich gut ist, kann für ein anderes Produkt den gegenteiligen Effekt haben. Man beurteilt und optimiert die Anzeige, den Spot, die Verpackung etc. im Idealfall immer in Abhängigkeit von der Branche, dem Unternehmen, der Marke bzw. dem Werbeträger selbst. Auch dazu bedarf es ein gehöriges Maß an Test- und Interpretationserfahrung.
Moderne Neuromarktforschung verwendet übrigens andere, durchaus auch traditionelle Marktforschungsmethoden parallel. Mittels fMRT im Verbund mit Eye Tracking lassen sich Werbespots sekundengenau optimieren. Mit EEG – dem zweiten klassischen Instrument der Neuromarktforschung, bei der Spannungsschwankungen am Kopf gemessen werden – lassen sich nicht nur die besten Preise für Produkte ermitteln; gemeinsam mit Interviews oder Fragebögen kann auch der Verkaufserfolg von Produkten mit einer so hohen Wahrscheinlichkeit vorausgesagt werden, wie das bis dato nicht möglich war.
Der deutsche Neuropsychologe Markus Müller von Neuromarketing Labs forscht dazu und hat durchaus spektakuläre Erfolge zu verbuchen, wenn es zum Beispiel um die Optimierung von Preisen oder ganzen Produktportfolios geht. So wurde beispielsweise die Überlegenheit von EEG-Messungen gegenüber herkömmlicher Befragungsmethoden nachgewiesen, als es galt, den Verkaufserfolg einer Damenschuhkollektion vorauszusagen. Auftraggeber der spektakulären Studie war in diesem Fall übrigens die österreichische Schuhhandelskette Leder und Schuh.
Es ist nicht alles Neuro was glänzt
Die Fortschritte in der Neurowissenschaft haben die Neuroökonomie und die Neuromarktforschung deutlich praxistauglicher gemacht. Mittlerweile ist Neuromarktforschung durch technologische Entwicklung, Kostendegression in Hard- und Software und auch durch Lernkurveneffekte nicht nur Konzernen mit entsprechenden Budgets zugänglich. In Omnibus-Studien können nunmehr auch mittelständische und kleinere Unternehmen ihren Marketingmix neuromarketingtechnisch optimieren. Jedoch Vorsicht, nicht überall wo „Neuro“ draufsteht, ist auch „Neuro“ drin. Nur mit EEG und fMRT ist es möglich, Emotionen direkt dort zu messen, wo sie entstehen – im Gehirn.
Um aber gute Neuromarktforschung betreiben zu können, braucht es neben der entsprechenden Infrastruktur vor allem Know How aus verschiedenen Forschungsdisziplinen und Erfahrung aus tausenden von Tests. Nur so werden aus bunten Bildern auch aussagekräftige Informationen, die für den Marketingerfolg nutzbar gemacht werden können. Und nur so sind Prognosen zum Werbe- oder Produkterfolg mit Trefferquoten von 80% und mehr möglich.
Im Marketing wie in der Seelenheilkunde ist es leider für den Außenstehenden oft nur ein kleiner Schritt zwischen Voodoo und Wissenschaft, wie auch schon in einem anderen Blogbeitrag von mir erwähnt wurde. Die menschliche Seele ist zu kostbar und die Marketingbudgets sind zu knapp, als dass man sich da wie dort auf Spekulationen oder auf veraltete oder gar zweifelhafte Methoden verlassen sollte, um zum Ziel zu kommen.
Der leicht abgeänderte Originalartikel dieses Blogbeitrags ist in der Aprilausgabe des Magazins „a3 Marketing“ erschienen und kann augenfreundlich im PDF-Format heruntergeladen werden. Erwin Hemetsberger ist systemischer Marketing Coach, Neuromarktforscher, Marketing Knecht beim Startup Incubator INiTS und Psychotherapeut (in Ausbildung unter Supervision).
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